Resiliente Gesellschaft: Warum es mehr braucht als eine fähige Armee

Patrick Meschenmoser, Wien

Hinterher sind alle schlauer. Wie oft schon habe ich mir das gedacht. Doch nicht dieses Mal. Nicht, wenn es um die Marginalisierung der Bundeswehr und ihre eklatanten Strukturprobleme geht. Jahrelang wurde nicht nur von den Generalinspektoren und Wehrbeauftragten, sondern von zahlreichen außen- und sicherheitspolitischen Experten darauf hingewiesen, dass eine Demokratie in der Lage sein muss, die Freiheit zu verteidigen, die sie von autokratischen Regimen unterscheidet. Es war ein Krieg in der Ukraine nötig, um diese offensichtliche Tatsache nicht mehr verdrängen zu können. Die Verbündeten Deutschlands schauten schon seit langem mit Argwohn auf die mangelhafte militärische Bündnisfähigkeit. Humanitäre Hilfe, Handel und Diplomatie allein können nicht jede außenpolitische Bedrohung eindämmen. Bündnisfähigkeit heißt, Seite an Seite zu stehen, stehen zu können, wenn es darauf ankommt. Dass Deutschland dazu in den letzten Jahren kaum in der Lage gewesen wäre, liegt nicht an den Frauen und Männern, die sich dem Dienst für Deutschland verschrieben haben und diesen bisweilen mit einer Ausrüstung versehen mussten, die zum Schutz ihres Lebens unzureichend war. Die Ursache liegt vielmehr in der Vernachlässigung der Armee durch die Politik und dem Desinteresse und der Naivität großer Teile der Gesellschaft und damit der Wähler.

Dies vorangestellt, und gerade weil das politische Versäumnis so offensichtlich ist, muss man der Entscheidung der Bundesregierung, diese Misere zu beenden umso größeren Respekt zollen. Es bleibt nun zu hoffen, dass den Ankündigungen schnell, effektiv und zielgerichtet Taten folgen und dass es dafür eine möglichst breite, überparteiliche Mehrheit im Parlament gibt. Nicht nur unsere Parlamentsarmee verdient diese Unterstützung. Noch bin ich unsicher, ob in Zeiten von Likes, Hypes und Empörung der lange Atem vorhanden ist, diese guten Absichten auch durch den nächsten und übernächsten Shitstorm auf Twitter zu tragen. Zeigt die Politik aber das nötige Durchhaltevermögen, hört sie nicht auf die kaum repräsentativen Twitter-Blasen, dann ist mein Respekt für diesen Gesinnungswandel und die Akzeptanz realpolitischer Notwendigkeiten, gerade auch in Parteien, denen dies schwerfallen muss, umso größer.

Katastrophenschutz – von der Friedensdividende aufgefressen

Was wir auf diesem Weg jedoch nicht vergessen dürfen: Mit der Unterstützung der Bundeswehr durch einen Sonderetat ist es nicht getan. Damit meine ich nicht einmal, dass sich #Resilienz nicht einfach von der Stange kaufen lässt wie ein Mantel. Sie muss aufgebaut und auf ein solides Fundament gestellt werden. Sie darf nicht mehr nur in die Hände politisierender Administratoren ohne nennenswerte Expertise, sondern wieder in die Hände von Fachleuten mit politischem und administrativem Verständnis gelegt werden. Das kostet Zeit. Gemeint ist vielmehr: Gesellschaftliche Resilienz erwächst nicht nur aus der militärischen Landesverteidigung. Ohne die Säule des Zivil- und Katastrophenschutzes wird das Resilienzgebäude nicht standhaft sein. Dass diese Säule ausgehöhlt ist, das konnte man nicht erst während der Flutkatastrophe von 2021 beobachten. Auch hier warnten Experten seit langem vergeblich, dass eine zu große Friedensdividende aus dem Bevölkerungsschutz in Deutschland herausgebissen worden war. Die Aufgabe des flächendeckenden Sirenensystems nach Ende des Kalten Krieges, weil man sich keine Szenarien vorstellen konnte, in denen es noch einmal gebraucht würde, ist da nur ein Beispiel. Auch wenn das Bundesheer in Österreich ebenfalls mit Kürzungen und Marginalisierungen zu kämpfen hatte, machte man diesen Fehler hier nicht. Ja, natürlich können wir über Warn-Apps und Cell-Broadcast warnen und sollten es. Aber angesichts der Vulnerabilität des Mobilfunks, nicht zuletzt durch Cyberattacken, würden uns möglichst simple, redundante Systeme auch hier guttun. Wir haben uns eine bequeme, aber komplexe und damit anfällige technologische Welt gezimmert. Die besten Antworten sind daher nicht ausschließlich immer noch komplexere Lösungen und wenn, dann müssen sie ausreichend ausgestattet und abgesichert werden. Die Probleme mit dem deutschen #Digitalfunk für Behörden und Einsatzkräfte während der Flutkatastrophe kann als Beispiel dienen. Die Abwehr von Cyberattacken muss zudem ganz oben auf der Agenda stehen.

Katastrophenschutz und Klimaschutz müssen Hand in Hand gehen

Auch wenn es im aktuellen Zusammenhang mit der Ukraine nicht sofort klar erscheint, ist es aber nicht nur eine mögliche militärische Bedrohung, sondern der offensichtliche Klimawandel, der die Stärkung des Bevölkerungsschutz auf dieselbe Prioritätsebene hebt, wie die Ertüchtigung der Bundeswehr. Deutschland muss in Sachen Klimaschutz mit gutem Beispiel vorangehen. Die Tatsache, dass dies aber kaum Einfluss auf das Weltklima haben wird, weil das Gros der Treibhausgase woanders ausgestoßen wird, kann nicht als Entschuldigung dienen. Dass dieses gute Beispiel aber nur sozialverträglich gegeben werden kann und darf, sei hier nur kurz am Rande erwähnt, weil soziale Gerechtigkeit auch ein Pfeiler einer resilienten Gesellschaft ist und diese nicht nur durch die urban-bürgerliche Brille sehend erreicht werden kann. Zentral an dieser Stelle ist dagegen die Erkenntnis, dass Deutschland trotz allen guten Beispiels nicht direkt in der Lage sein wird, die bereits einsetzenden Folgen des Klimawandels abzumildern. Starkwetterereignisse werden sich mehren. Daher ist es kein Verrat am Klimaschutz, wenn wir uns für diese Auswirkungen durch angepasste Infrastrukturen und einen gestärkten Bevölkerungsschutz wappnen. Im Gegenteil, es ist die klare Anerkennung von Realitäten. Diese zu leugnen, wäre zynisch und keiner soll nach der Ahrtal-Katastrophe sagen, das wäre so nicht abzusehen gewesen. Erneuerbare Energien und Hochwasserschutz dürfen nicht in Konkurrenz stehen.

Was die Jungen von den Älteren lernen können – und umgekehrt

Das bringt uns auch zu einem Thema, das für eine resiliente Gesellschaft vielleicht am wichtigsten ist: resiliente Bürger. Ganze Generationen haben glücklicherweise keine Erinnerung an kriegerische Auseinandersetzungen oder regelmäßige Sirenenübungen für den Fall eines nuklearen Angriffs. Auch die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels sind noch neu in Europa. Viele ältere Menschen dagegen haben aus Erfahrung mit Krieg, Krisen und Katastrophen heute noch einen Vorratskeller. Sie gehen sparsamer mit Lebensmitteln und Kleidung um als einige Jüngere, die die ältere Generation auch schon mal als „Umweltsäue“ bezeichnen. Ich glaube, wir können alle voneinander lernen. Das wäre der erste Schritt zu einer resilienten Gesellschaft. Und wie schon angedeutet, ist nicht alles Neue zwangsläufig besser und viele Bequemlichkeiten wurden auf Kosten hoher Komplexität und Vulnerabilität erkauft. Es wäre daher schon ein Fortschritt, wenn man vernünftige Ansätze der Vergangenheit nicht aus politischem Kalkül oder schlicht Unkenntnis diskreditieren würde. Zugegeben, als das Bundesamt für Bevölkerungsschutz 2016 einen zarten Versuch machte, nach der Krimkrise und vermehrten terroristischen Anschlägen darauf hinzuweisen, dass ein Notvorrat zuhause kein Fehler darstellen würde, wurde das nicht optimal kommuniziert. Dass einige Parteien dann ernsthaft von Panikmache sprachen, obwohl manche ihrer Vertreter die Maßnahmen an sich sogar für sinnvoll erachteten, hat diese Versuche zusätzlich erschwert. So langsam setzt jedoch auch hier die Erkenntnis ein, dass es Szenarien gibt, die wieder mehr Eigenverantwortung der Bürger erfordern. Hier müssen wir gerade den jüngeren und mittleren Generationen ein wenig Wahrheit zumuten. Vielleicht bringt das Jung und Alt wieder näher zusammen. Eine gespaltene Gesellschaft ohne Verständnis füreinander, das gilt ebenso für die existentiell wichtigen Klimaanliegen der Jüngeren, kann nicht resilient sein. Hier müssen auch die Medien ihren Beitrag leisten. Am 1. März war internationaler Tag des Zivilschutzes. Ist Ihnen der in den Nachrichtensendungen der letzten Tage begegnet? Obwohl er wohl so aktuell wie selten war, vermutlich nicht.

Auch für unsere Kommunikation brauchen wir Hygieneregeln

Resilienz ist also ebenso eine Frage der Kommunikation und die ist nicht nur Sache der Medien. Jeder einzelne muss sich in Zukunft fragen lassen, ob er kritisch genug mit Informationen und Quellen umgeht. Wie wichtig Hygienestandards sind, das wissen wir nicht erst seit der Pandemie. Aber genauso wie uns die Verhaltensregeln zum Umgang mit COVID-19 in Fleisch und Blut übergegangen sind, so wichtig ist auch die persönliche Kommunikationshygiene. Dem Drang des schnellen Retweets, der Sucht nach Likes und nach dem Wohlwollen der eignen Blase zu widerstehen, ist schon ein großer Beitrag zur Resilienz, denn die sozialen Medien werden nicht erst seit heute als Waffe eingesetzt. Nachrichten nach bestimmten Kriterien wie Absender, Datum und Kontext zu überprüfen, sollte zum kleinen Einmaleins werden. Dazu gehört es auch, sich vertrauenswürdigen Quellen zuzuwenden. Damit sind wir doch wieder bei den Medien. Der brandneue Edelmann Trust Barometer 2022 zeichnet eine desaströse Entwicklung des Vertrauens der Deutschen in ihre Medien. Während die Vertrauenswürdigkeit von Journalismus im vergangenen Jahr global um einen Prozentpunkt abnahm, waren es in Deutschland fünf Prozentpunkte. Noch bedenklicher ist, dass damit nur noch 47 Prozent der Bevölkerung den Medien trauen. Das sind drei Prozent weniger als im globalen Durchschnitt und liegt im Misstrauensbereich. Es ist keine Medienschelte dieses nüchterne Ergebnis zur Kenntnis zu nehmen. Woher dieser Vertrauensverlust kommt, werden Studien hoffentlich bald zeigen. Dass neben offensichtlich tendenziösen Boulevardmedien und Desinformationen auch der Hang zum Framing und die immer größere Distanzlosigkeit von Journalisten zur eigenen Haltung und mit eigenem Twitterauftritt eine Rolle spielt, scheint zumindest plausibel. 53 Prozent der Deutschen wird man jedenfalls kaum den Querdenken, Reichsbürgern oder sonstigen Schubladen zuordnen können. Ohne einen mündigen Bürger ist eine resiliente Gesellschaft nicht zu machen. Wer die Mehrheit der Deutschen nicht für komplett unmündig hält, der sollte darauf vertrauen, dass sie auch aus neutraler präsentierten Fakten die richtigen Schlüsse zieht.

Wie wir miteinander debattieren wird entscheidend sein

Diese Zusammenfassung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern beschäftigt sich hauptsächlich mit den Punkten, die mir in meiner Beratungs- und Lehrtätigkeit am häufigsten begegnen. Man könnte noch die seit Jahren vernachlässigte und teilweise marode Infrastruktur und die Bildung ansprechen, ohne die die wirtschaftliche Stärke Deutschlands und damit eine nachhaltige, sozial gerechte, moderne, freie und damit resiliente Demokratie nicht garantieren sind. Man könnte die Frage erörtern, ob ausgerechnet der verstärkte Import von Kohle aus Südamerika das richtige Mittel ist, um unseren steigenden Energiebedarf klimaverträglich zu sichern oder ob eine Verlängerung der Laufzeiten der noch existierenden Kernkraftwerke, trotz aller Herausforderungen, eine bessere Brücke wäre. Man könnte auch fragen, ob eine Dienstpflicht nicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken könnte oder ob sie tatsächlich nur eine edlere Form der Zwangsarbeit wäre. Am Ende ist es aber wichtig, wieder mehr Diskussion zu wagen, die sich an Realitäten orientiert. Es ist wichtig, dass Diskutanten zumindest die Möglichkeit akzeptieren, dass auch das Gegenüber recht haben und trotz abweichender Meinung ein guter Mensch sein könnte. Mehr Debatte, weniger Schubladen. Das ist das Fundament einer resilienten und vor allem freien Demokratie.